Köditz zu Urteilen im NSU-Prozess: Die Schuld ist endlich fest-gestellt – aber ein Schlussstrich ist das keinesfalls!
Zu den Urteilen im Münchner NSU-Prozess erklärt Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Fraktion DIE LINKE, die auch stellvertretende Vorsitzende des hiesigen NSU-Untersuchungsausschusses ist:
Mit den Urteilen endet nach mehr als fünf Jahren ein wichtiges Kapitel in der juristischen Aufarbeitung der NSU-Verbrechen. Wichtig ist nicht das Strafmaß, sondern dass jetzt endlich die Schuld die Angeklagten festgestellt wurde. Die Urteilsbegründung hält zur Stunde noch an.
Ein Schlussstrich ist das keinesfalls, denn die Aufklärung des Falles und seiner politischen Dimensionen ist noch lange nicht vorbei. Viele Beobachterinnen und Beobachter des Prozesses, insbesondere aber auch Betroffene und Hinterbliebene der NSU-Opfer, haben sich vom Prozess ganz zu Recht viel mehr erhofft: endlich Klarheit, warum es trotz vieler Spuren nicht gelang, Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nach ihrem „Untertauchen“ zu fassen. Gewissheit darüber, was Behörden und insbesondere die Geheimdienste mit ihrem unsäglichen V-Mann-Unwesen wirklich über die Gruppe wussten, bevor sie im November 2011 aufflog und Akten im Reißwolf landeten. Und schließlich eine Aufdeckung des Unterstützernetzwerks, auf das die Rechtsterroristen offensichtlich angewiesen waren. Aber diese Hoffnungen wurden nicht erfüllt.
Dazu führt die Bundesanwaltschaft, allerdings fern der Öffentlichkeit, Verfahren gegen weitere neun mutmaßliche Unterstützer und Gehilfen. Acht davon stammen aus Sachsen: Max-Florian B., Matthias D., Susann E., Pierre J., Hermann S., Thomas S., Mandy S. und Jan W. Gegen sie besteht der Verdacht, dem NSU im Raum Chemnitz und Zwickau u.a. Wohnungen vermittelt, Ausweise überlassen und Waffen beschafft zu haben. Das darf nicht ungesühnt bleiben – auch diese Beschuldigten müssen sich endlich vor Gericht verantworten! Hinzu kommt, dass sich meinen Informationen zufolge aus einem weiteren, gegen „Unbekannt“ geführten Verfahren der Bundesanwaltschaft Hinweise auf noch mehr mögliche Mitwisser im Freistaat ergeben.
Hier sind nach wie vor nicht nur Ermittlungsbehörden und Gerichte gefragt. Denn vieles, was wir heute über den NSU wissen, wäre unter den Tisch gefallen, gäbe es nicht engagierte Vertreterinnen und Vertreter der Nebenklage und die Mitglieder der Untersuchungsausschüsse, gäbe es nicht investigative Journalistinnen und Journalisten sowie informative Recherchen antifaschistischer Initiativen. Was jedoch bis heute fehlt, ist ein Umdenken der politisch Verantwortlichen: Inzwischen entstanden neue rechtsterroristische Gruppen, Sachsen wurde von einer rassistischen Anschlags-Welle überzogen und bundesweit erkennen wir die Zeichen eines Rechtsrucks. Der NSU zeigt, worauf das hinausläuft – und was wir gemeinsam verhindern müssen.