Runder Tisch zur Lage von Alleinerziehenden legt 10-Punkte-Maßnahmenpaket für den Landesaktionsplan vor

Die Linksfraktion hat im März 2022 einen Runden Tisch zur Lage von Alleinerziehenden ins Leben gerufen, an dem Betroffene, Verbände und politische Akteure seitdem mehrfach getagt haben. Organisiert wird er in Kooperation mit dem Landesfrauenrat, dem Familienverband SHIA e. V. sowie dem Alleinerziehendennetzwerk. Bei ihrem letzten Treffen in diesem Jahr am gestrigen Donnerstag haben die Beteiligten ein Maßnahmenpaket verabschiedet, das sie bald der Staatsregierung übergeben werden. Die nachfolgenden 10 Punkte sind dessen zentraler Inhalt. Der Freistaat soll endlich den angekündigten Landesaktionsplan auf den Tisch legen und die Expertise der Betroffenen und ihrer Verbände einbeziehen.

Sarah Buddeberg, Sprecherin der Linksfraktion für Gleichstellungspolitik, erklärt:

„Wir haben ein wichtiges Etappenziel erreicht und übergeben der Staatsregierung die gesammelte Expertise von Betroffenen, deren Vertretungen und weiterer relevanter Akteur*innen. Wir erwarten, dass dieses wichtige Zwischenergebnis des Runden Tisches bei der Koalition Gehör findet. Der Landesaktionsplan muss schnellstens vorgelegt werden, damit noch in dieser Wahlperiode Zeit für seine Umsetzung bleibt. Sobald er veröffentlicht ist, wird der Runde Tisch erneut zusammentreten, um den Prozess weiter konstruktiv zu begleiten.“

Susanne Köhler, Vorsitzende des Landesfrauenrates Sachsen e.V., sagt:

„Der Landesfrauenrat erwartet von der Politik und vom Gesetzgeber, dass sie die besondere Lebenssituation alleinerziehender Familien stets im Blick behalten. Dies gilt insbesondere für alleinerziehende Mütter. Beispielsweise müssen die Regelungen im Unterhalts- und Steuerrecht angepasst werden. Wichtig ist auch der Blick darauf, ob Gesetze und Verordnungen eine mittelbare Ungleichbehandlung von Frauen herbeiführen, wie aktuell beispielsweise die sächsische Pflegeunterstützungsverordnung. Sehr wichtig ist auch ein begleitendes Gremium wie ein Beirat, der die Entstehung, Umsetzung und Validierung des Landesaktionsplans begleitet.“

Brunhild Fischer, ehrenamtliche Geschäftsführerin des Landesfamilienverbandes SHIA e.V., erklärt:

„Alleinerziehende tragen alle Lasten mehr als doppelt – der Respekt vor der Lebensleistung Alleinerziehender muss finanziell, steuer- und rentenpolitisch endlich umgesetzt werden. Die Bedarfe alleinerziehender Eltern sind bei infrastrukturellen und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen verbindlich zu berücksichtigen. Grundsätzliche Kriterien sind die Sichtbarkeit Alleinerziehender und ihrer Kinder in der Öffentlichkeit, in Politik und Medien, eine alleinerziehendgerechte Behandlung durch unsere Gesellschaft und das Prüfen aller politischen Entscheidungen bezüglich ihrer Konsequenzen auf die Einelternfamilie. Dabei wäre eine sachsenweite ,Kleine Familienkarte‘ für Bildung-, Freizeit- und Kulturangebote oder der sächsische Familienpass auch für Alleinerziehende mit einem Kind bereits der Anfang!“

Grit Jandura, Leiterin des Frauenförderwerks, die am Runden Tisch Projekt AND-Alleinerziehenden Netzwerk vertritt, fügt hinzu:

„Seit 2011 setzt sich das Frauenförderwerk engagiert für Alleinerziehende ein, indem wir Organisatorinnen, Unternehmerinnen, Ämter und Behörden zusammenbringen und Alleinerziehende durch konkrete Angebote in den Bereichen individuelle Beratung, zusätzliche Kinderbetreuung, Bildung, Freizeiten, Wochenendangebote und Auszeiten stärken. Hierbei ist es deutlich geworden, dass diese Angebote ohne zusätzliche Kinderbetreuung besonders für Kinder bis 16 Jahre nicht genutzt werden können. Des Weiteren können Alleinerziehende den Erwartungen der Arbeitswelt 4.0 nach flexiblen Arbeitszeiten nicht gerecht werden und stehen demnach einem wesentlichen Teil des Arbeitsmarktes nicht zur Verfügung. Altersarmut ist vorprogrammiert! Schon deshalb muss unter anderem der Betreuungsschlüssel für Kita und Hort in Sachsen endlich konsequent verbessert werden. Individuelle, kostenfreie und flexible Betreuungsangebote müssen entstehen. Wir fordern aus diesem Grunde ein Umdenken und eine Offenheit für unkonventionelle Lösungsansätze. Jetzt gilt es zu handeln!“

Hintergrund: Die Forderungen des Runden Tisches

1. Ständige Analyse als Grundlage politischer Entscheidungen

Gemeinsam mit den Selbstvertretungen soll die Staatsregierung ständig die Lebenslagen von Alleinerziehenden analysieren und ihre Entscheidungen danach ausrichten. Jede (familien)politische Maßnahme ist auf ihre Passfähigkeit für Alleinerziehende zu prüfen:

  • Wie viele Alleinerziehende gibt es in welchem Landkreis und in welcher Kommune?
  • In welchem Umfang sind Angebote vorhanden (Kita, Hort, Jugendhilfe), wie flexibel sind diese Angebote und wie ist die Betreuungssituation?
  • Wie ist die Arbeitsmarktsituation im Landkreis/der Kommune, welche Unternehmensstruktur ist besonders häufig vorhanden?
  • Welche flexiblen Arbeitszeitmodelle sind möglich und werden genutzt?

2. Achtung, Respekt und Anerkennung des spezifischen Bedarfs alleinerziehender Familien

Bereits jetzt ist bei Ämtern anzugeben, ob Eltern alleinerziehend sind – etwa bei der Steuererklärung oder bei der Kita-/Hort-Anmeldung. Diese Angabe soll als „Statusanerkennung“ gelten, um Alleinerziehende proaktiv über Leistungen und Anlaufstellen zu informieren. Bei Angeboten sollen für Alleinerziehende keine Verdienstgrenzen gelten – die Anerkennung ihrer alleinerziehenden Sorgeleistungen soll ausreichen, um Präventions- und Unterstützungsangebote sowie Freizeit-/Erholungs-/Wochenendangebote nutzen zu können. Außerdem fordern wir die Einführung eines „persönlichen Budgets“ für Alleinerziehende in Anerkennung ihrer großen Verantwortung und Leistung. Dieses Budget steht zur freien Verfügung und darf nicht auf andere Leistungen angerechnet werden. Der Sächsische Familienpass soll Alleinerziehenden ab dem ersten Kind zur Verfügung stehen. Zu prüfen ist ein Anspruch auf zusätzliche Sorgeauszeiten für Alleinerziehende.

3. Gezielte Instrumente, um Hindernisse auf dem Arbeitsmarkt zu überwinden

Sachsens Arbeitsmarkt ist besonders von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt, die Unterstützung und Anreize brauchen, um familiengerecht zu sein. Starre Arbeitsmarktstrukturen passen nicht zu den individuellen Lebenslagen Alleinerziehender. Wir schlagen eine gezielte Förderung für Unternehmen vor, die familiengerecht organisiert sind und z.B. eine Ausbildung in Teilzeit ermöglichen. An den Hochschulen soll ein Teilzeitstudium flächendeckend möglich sein. Beim Wirtschaftsministerium sowie bei den Industrie- und Handelskammern und bei den Handwerkskammern sollten Beratungsstellen eingerichtet werden, die Arbeitgeber*innen für die Bedürfnisse von Alleinerziehenden sensibilisieren und Empfehlungen für familiengerechte Organisation aussprechen. Zudem muss der Diskriminierungsschutz für Alleinerziehende bei Einstellungsverfahren verbessert werden. Bereits jetzt sind 78 Prozent der Alleinerziehenden in Sachsen erwerbstätig, viele von ihnen müssen dennoch aufstockende Hartz-IV-Leistungen beziehen. Das zeigt: Arbeit schützt vor Armut nicht. Wir brauchen in Sachsen dringend angemessene Löhne und eine deutlich höhere Tarifbindung – eine langjährige Forderung nicht nur der Linksfraktion.

4. Öffentlicher Dienst als Arbeitsgeber mit Vorbildfunktion

Die öffentliche Hand muss vorbildlich vorangehen, wenn es darum geht, Alleinerziehenden das Leben zu erleichtern und ihnen mehr Flexibilität einzuräumen. Arbeit im Homeoffice, Jobsharing, flexible Arbeitszeiten, Vertrauensarbeitszeit, Teilzeitmodelle und Arbeitszeitkonten müssen breiter angeboten werden. Auch die Ausübung von Leitungspositionen muss in Teilzeit möglich sein.

5. Kinderbetreuung anbieten

Wer seinen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit sichern muss, braucht adäquate Bildungs- und Betreuungsangebote für die Kinder. Alleinerziehende sollten nicht nur einen Nachlass bei den Kita-Elternbeiträgen, sondern auch flexiblere Betreuungszeiten nutzen können – etwa ein Stundenkontingent, das jeden Tag freier verteilt werden kann. Vor allem in den Randzeiten sind zusätzliche Betreuungskapazitäten notwendig. Zu prüfen sind dabei Pool-Lösungen von Betreuungspersonen, die etwa in Kitas angesiedelt werden können und dort vorhandene Ressourcen nutzen. Darüber hinaus muss es die Möglichkeit geben, dass feste Betreuungspersonen direkt im Haushalt der Familien Kinder und Jugendliche betreuen, während alleinerziehende Eltern Arbeits- oder Ausbildungszeiten wahrnehmen, die mit Kita- und Hortöffnungszeiten nicht vereinbar sind. Auch flexible Hol- und Bringedienste wären eine große Entlastung.

6. Aufwertung von Care-Berufen

Etwa 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen. Frauen wiederum arbeiten in Sachsen besonders häufig in sogenannten Care-Berufen wie Kinderbetreuung, Kindererziehung oder Altenpflege, die oft eher schlecht bezahlt werden. Die Bewertung, Tätigkeitsbeschreibung und Eingruppierung dieser Berufsbilder muss aktualisiert und unter Gleichstellungsgesichtspunkten überprüft werden – mit dem Ziel, Care-Berufe und frauendominierte Tätigkeitsfelder aufzuwerten.

7. Mehr Prävention und Müttergesundheit

Sachsen sollte mehr Prävention für Alleinerziehende, insbesondere Müttergesundheit finanzieren und fördern. Es sind mehr Angebote für Erholung und gemeinsame Familienzeit notwendig. Bei Familienangeboten sollte ein Teil der Plätze Alleinerziehenden vorbehalten sein. Hilfreich wären auch geförderte Gutscheine für „Babysitter“ und Haushaltshilfe, wobei Qualitätsstandards bei Betreuungsangeboten und eine faire Entlohnung beachtet werden müssen.

8. Verständliche Informationen & Beratung im Leistungsdschungel

Vorhandene Angebote müssen bei der Zielgruppe bekannter gemacht werden, z. B. in Form von regelmäßig aktualisierten Broschüren (gedruckt und digital) über Anlaufstellen, Beratungsmöglichkeiten und Orte für Freizeit und Vernetzung. In Berlin etwa gibt es in jedem Regierungsbezirk eine „Strukturstelle Alleinerziehende“. Wir fordern eine webbasierte Informationsplattform, die diese Informationen bündelt.

9. Interessenvertretung

Die Landesfamilienverbände als Interessenvertretung müssen ebenso wie alleinerziehendenspezifische Familienberatungsstellen dauerhaft gefördert werden. Sie begleiten Alleinerziehende und unterstützen sie etwa im Umgang mit Ämtern und Behörden.

10. Bundesmaßnahmen, für die der Freistaat eintreten soll

Neben eigenen Landesmaßnahmen soll sich die Staatsregierung im Bund für weitere Schritte einsetzen. Die Steuertabellen sollten überarbeitet und die steuerliche Diskriminierung von Alleinerziehenden endlich beendet werden. Auch muss die Rentenberechnung überarbeitet werden, um die Betroffenen vor Altersarmut zu schützen. Die Regelungen des Kinderkrankengeldes bzw. der Kinderkrankentage sollten Alleinerziehenden mehr Spielraum einräumen. Zudem sollten Alleinerziehende in den Kreis förderfähiger Personen nach § 88 SGB III „Eingliederungszuschuss“ aufgenommen werden, um ihren Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Auch beim Thema Unterhalt besteht Handlungsbedarf: Die Nicht-Erfüllung von Unterhaltspflichten muss konsequent und effektiv sanktioniert werden. Die Anrechnung des Betreuungsunterhaltes sollte von 3 auf 18 Jahre verlängert werden, Betreuungsunterhalt soll nicht mehr auf SGB II-Leistungen angerechnet werden.