Kinder, Küche und Karriere: Reproduktions- und Care-Arbeit

Geschlechtsspezifische Einkommensungleichheit ist kein individuelles, sondern ein strukturelles Problem. Viel Arbeit, die zur Regeneration der individuellen Arbeitskraft und zur Herausbildung der nächsten Generation notwendig ist (Reproduktion), wird unentgeltlich geleistet und ausgeblendet, obwohl sie unverzichtbar für das Funktionieren der Wirtschaft sind. Ein Arbeitsbegriff, der sich allein durch Erwerbsarbeit definiert, greift zu kurz. Mit Care- oder Reproduktionsarbeit ist also jene Arbeit gemeint, die sowohl unbezahlt im häuslichen Bereich als auch in geringer entlohnten Berufen verrichtet wird und der sozialen Reproduktion und Lebensfürsorge dient. Dazu zählen nicht nur konkrete Tätigkeiten, zum Beispiel der Kinderziehung oder Angehörigenpflege, sondern auch die Haushaltsführung inklusive der Verantwortung für deren Planung und Organisation. Neuere Debatten befassen sich beispielsweise mit der Gefahr der psychischen Erschöpfung, die durch diese ständige gedankliche Belastung („mental load“) droht.

Im klassisch-bürgerlichen Familienmodell wurden Haus- und Sorgearbeiten vor allem von Frauen verrichtet und nicht bezahlt. Damit wurde ihr Arbeitsmarktzugang in dem Maße eingeschränkt, in dem er sich für Männer verbessert. Gerechtfertigt wurde diese Arbeitsteilung mit einer angeblich natürlichen Neigung des weiblichen Geschlechts zu diesen Tätigkeiten. Mit zunehmender Emanzipation von alten Geschlechterbildern verteilt sich die Care-Arbeit zwar stärker, die höhere Erwerbsbeteiligung führt aber auch zur charakteristischen Mehrfachbelastung von Frauen, vor allem von Müttern. Zeitbudgetstudien zeigen, dass Haus- und Sorgearbeit bei heterosexuellen Paaren auch gegenwärtig überwiegend von Frauen erledigt wird (Gender Care Gap). Sie verwenden etwa 52 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Arbeit als Männer – was sich nach Geburt des ersten Kindes noch einmal deutlich verschärft, selbst wenn vorher Gleichverteilung herrschte. Klassische Rollenbilder werden auch staatlich gefördert, beispielsweise mit dem Ehegattensplitting, das die Abhängigkeit vom tendenziell besserverdienenden Partner festigt.

Care-Arbeit findet nicht nur im Privaten statt, sondern auch in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Kindergärten oder Schulen. Soziale Dienstleistungen sind die Stützen der Gesellschaft und nur schwer mit kapitalistischer Profitlogik vereinbar. Weil sie vor allem an Frauen delegiert werden, können sie abgewertet und die Kosten geringgehalten werden. Die Corona-Krise hat eindrücklich gezeigt, dass nicht einmal der offenkundige Beweis der „Systemrelevanz“ zu mehr finanzieller Wertschätzung führt. Globale Versorgungsketten verschärfen das Problem weiter, indem Haus- und Versorgungsarbeit nun nicht gleichmäßiger zwischen den Geschlechtern verteilt und alternative Formen der Arbeitsorganisation entwickelt werden, sondern sie von erwerbstätigen Frauen auf statusniedrigere Personen, meist migrantische Frauen, verlagert wird. An der Organisation von Care-Arbeit zeigt sich die Notwendigkeit einer linken, intersektionalen Perspektive, welche die Verschränkung von kapitalistischen, sexistischen und rassistischen Strukturen berücksichtigt.

Weiterlesen

  • Bundeszentrale für politische Bildung (2020): Care-Arbeit, Aus Politik und Zeitgeschichte, 70. Jg., Nr. 45/2020, online unter: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/care-arbeit-2020/ [zuletzt: 25.02.2022].
  • Schutzbach, Franziska (2021): Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit, München: Droemer.
  • Winker, Gabriele (2015): Care Revolution: Schritte in eine solidarische Gesellschaft, Bielefeld: transcript.
  • Aktionsseite zum Equal Care Day: https://equalcareday.de/