Beschlussempfehlungen des Wahlprüfungsausschusses zu den Wahleinsprüchen der AfD bzw. von AfD Mitgliedern

Rede von Rico Gebhardt, 14. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, 30. September 2020

Anrede,

Lassen sie mich kurz den Sachverhalt schildern:

Am 9. Januar 2019 wurden die Mitglieder der AfD Sachsen zu einer Aufstellungsversammlung – zum „12. Landesparteitag“ – für den 8. Februar, ab 16:00 Uhr nach Markneukirchen eingeladen. In der Einladung wurde auf die Fortsetzung der Aufstellungsversammlung am 9. und 10. Februar am gleichen Ort verwiesen.

Am 8. Februar wurden ein Versammlungsleiter, zwei Vertrauenspersonen gewählt und über ein Wahlverfahren abschließend entschieden.

Ausweislich eines Schreibens des stellvertretenden Landesvorsitzenden Herrn Dr. Keiler vom 24. Juni 2019 an die Landeswahlleiterin, Zitat:

„Am 10. Februar 2019 wurde nach dem Wahlgang für Listenplatz Nummer 17, der um 17:05 Uhr beendet war, der GO-Antrag gestellt, die Aufstellungsversammlung nach dem nächsten Wahlgang zu Platz 18 bis zu einem weiteren Parteitag in ca. 4 bis 5 Wochen zu unterbrechen.“

Das wurde so mit Beschluss auch von den Anwesenden der Aufstellungsversammlung bestätigt.

Allerdings passierte folgendes: Die AfD-Spitzen luden mit Schreiben vom 13. Februar 2019 für den 15. März 2019 zu einer erneuten Aufstellungsversammlung im Rahmen eines nun „13. Landesparteitages“ nach Markneukirchen ein und NICHT zu einer Fortsetzung des „unterbrochenen“ 12. Landesparteitages.

So wurde dann zu Beginn dieses 13. Landesparteitages am 15. März 2019 wieder ein Versammlungsleiter gewählt, Vertrauenspersonen bestimmt, eine Wahlkommission gewählt und über die Wahlordnung abgestimmt.

Die Dämlichkeit dabei: es wurden nicht etwa derselbe Versammlungsleiter und dieselben Vertrauenspersonen wie am 8. Februar gewählt, sondern vollkommen neue Personen und eine neue Wahlordnung beschlossen.

Wie anders soll man dies dann bewerten, als dass eine neue, eigenständige Aufstellungsversammlung oder um Herrn Dr. Keiler vom 24. Juni zu zitieren „ein neuer Parteitag“ stattfand.

Dazu kommt, dass die AfD Sachsen –ziemlich spät erst am 18. Juni 2020 – dann nicht etwa eine Landesliste bei der Landeswahlleiterin eingereicht hat, sondern gleich mal zwei!

Das allein ist schon ein klarer Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen im § 27 Absatz 1 des Sächsischen Wahlgesetzes.

Diese zwei von der AfD Sachsen eingereichten Landeslisten, einmal für die Listenplätze 1 - 18 und einmal für die Plätze 19 – 61 wiesen dann jeweils zwei unterschiedliche Vertrauenspersonen aus (also insgesamt vier Vertrauenspersonen). Zu den jeweiligen Niederschriften der beiden Aufstellungsversammlungen lagen ebenfalls wieder zwei getrennte „Versicherungen an Eides statt“ vor, die jeweils zwei unterschiedliche Personen abgegeben hatten.

Also haben vier Menschen erklärt: Genau so und nicht anders haben die zwei getrennten Aufstellungsversammlungen stattgefunden.

Von EINER Versammlung, bei der EINE Landesliste aufgestellt worden ist, war bisher also keine Rede und das auch noch eidesstaatlich versichert!

Nun kommt Herr Dr. Keiler – wieder in dem schon einmal zitieren Schreiben an die Landeswahlleiterin vom 24. Juni 2019 zu der Auffassung. Zitat:

„Es ist nicht erforderlich, dass, wenn eine Aufstellungsversammlung über mehrere Wochen geht, die Zeugen der ersten Sitzung auch in der zweiten Sitzung erscheinen müssen.“

Keine Ahnung, woher er diese Rechtsauffassung nimmt. Ein Verweis auf einen nachlesbaren Paragrafen blieb er allen bis heute schuldig.

Nachdem das Büro der Landeswahlleiterin auf diesen eklatanten Rechtsmangel mit den zwei Listen hingewiesen hatte, reichte die AfD zunächst eine zweite Landesliste mit einer – elektronisch ausgefüllten Niederschrift (am 25. Juni 2020) und dann auch noch eine – diesmal handschriftlich ausgefüllten - dritten Niederschrift (am 27. Juni 2020) ein.

Wohlgemerkt: von ein und derselben Aufstellungsversammlung – wie die AfD behauptet!

Die dritte Landesliste – diesmal mit den Listenplätzen 1 bis 61 mit insgesamt sechs neuen „Versicherungen an Eides statt“ wurde kurz vor „Toresschluss“ am 27. Juni 2019 um 16:50 persönlich durch die Vertrauenspersonen Teichmann und Dr. Keiler bei der Landeswahlleiterin eingereicht.

Zur Erinnerung: Die Einreichungsfrist endete am 27. Juni 2019, um 18:00 Uhr!

Zwei Tage vorher, am 25. Juni 2019 legte Dr. Keiler persönlich im Büro der Landeswahlleiterin mehrere Beschlüsse des AfD-Landesvorstandes vom 20. Juni 2019 vor, mit denen die Vertrauenspersonen der eingereichten Landeslisten 1 - 18 und 19 – 61 abberufen wurden und nun zwei neue Vertrauenspersonen bestimmt wurden: Herr Ivo Teichmann und Herr Dr. Keiler.

Warum das erfolgte, dafür gibt es keine schriftliche Erklärung gegenüber der Landeswahlleiterin.

Was ich in den Akten der Landewahlleiterin auch nicht gefunden habe: die durch die AfD Sachsen ausdrücklich und schriftlich erklärte Zurücknahme der Listen 1 bis 18 oder 19 bis 61 bzw. beider Listen.

Deswegen hat und musste sich der Landeswahlausschuss am 5. Juli 2019 mit der Frage beschäftigen: Welche der insgesamt vier (!) eingereichten Landeslisten der AfD gilt denn nun? Und auch mit der Frage: waren es nun ein oder zwei Aufstellungsversammlungen.

Der Landeswahlausschuss befand mit 6 zu 1 Stimmen, dass zwei Aufstellungsversammlungen durchgeführt worden sind.

In einem zweiten Beschluss wurde dann die Frage erörtert: gilt nun die Aufstellungsversammlung vom Februar oder die vom März 2019?

Hier wurde mit 6 dafür und einer Enthaltung entschieden, die Listenaufstellung vom Februar sei die einzig rechtlich zulässige, da nur bei dieser Versammlung – zumindest nach den von der AfD eingereichten Unterlagen - die gesetzlichen Voraussetzungen für einen zulässigen Listenvorschlag vorlagen.

Damit waren die Plätze 1 bis 18 zugelassen. Die Listenplätze 19 bis 61 wurden nicht bestätigt und somit nach § 28 Absatz 1 Satz 3 des Sächsischen Wahlgesetzes zurückgewiesen.

Gegen diese Entscheidung legte die AfD dann Verfassungsbeschwerde ein.

Der Tenor des Urteils lautete: „Die Bewerber auf Listenplatz 19 bis 30 der bei der Landeswahlleiterin eingereichten Landesliste der Partei Alternative für Deutschland (AfD) sind zur Wahl des 7. Sächsischen Landtags am 1. September 2019 zugelassen.“

Der Verfassungsgerichtshof hat laut Urteilsbegründung – höchst ausnahmsweise - vorgelagerten Rechtsschutz gewährt. Außerdem ist das Verfassungsgericht von einer Aufstellungsversammlung ausgegangen.

Jedoch hat er – und das ist für unsere heutige Bewertung entscheidend – die Landesliste der AfD nicht bis zu den Plätzen bis 61 zugelassen, sondern nur bis zum Listenplatz 30!

Warum?

Das Verfassungsgericht hat festgestellt, dass durch die Aufstellungsversammlung ab diesem Listenplatz ein anderes Wahlverfahren angewendet worden ist und dieses erst im Laufe der (zweiten) Versammlung so festgelegte wurde.

Die Anerkennung des Verfassungsgerichts einer einheitlichen Versammlung hat nun zur Folge, dass die AfD jetzt darüber gestolpert ist, dass sie bei der 2. Aufstellungsversammlung im März 2019 das Wahlverfahren änderte, was in der 1. Aufstellungsversammlung im Februar 2019 für die Aufstellung der AfD-Landesliste beschlossen worden war.

Nun behauptet die AfD wiederum:

1. Zumindest eine im Landtag vertretene Partei würde das auch so machen.

2. Gruppen- bzw. Blockwahlen wären zulässig.

3. Es hat ja kein gewählter Landeslistenvertreter der AfD Widerspruch gegen die Änderung des Wahlverfahrens eingelegt und somit wurde niemand benachteiligt.

4. Im Landeswahlausschuss hat der Wechsel des Wahlverfahrens keine Rolle gespielt.

Zu 1: Ja, auch die PDS und LINKEN haben bei Listenaufstellungen schon unterschiedliche Wahlverfahren angewendet, diese – nun hören sie von der AfD ganz genau zu – werden aber immer zu Beginn der Versammlung beschlossen und nicht im Laufe der Versammlung geändert: Und ja, auch die PDS hatte schon Nominierungsveranstaltungen, auch mit einer mehrwöchigen Pause durchgeführt.

Jedoch waren das immer Unterbrechungen und Fortsetzungsversammlungen mit denselben Versammlungsleiter*innen bzw. Vertrauenspersonen und mit demselben Wahlverfahren.

Zu 2: Natürlich ist es möglich, Einzelwahlen oder Gruppenwahlen durchzuführen. Ob das zulässig ist, regeln ja vor allem die eigenen Satzungen und Wahlordnungen der Parteien, aber auch hier gilt: Wenn einmal ein Wahlverfahren beschlossen worden ist, dann muss dieses Verfahren bis zum bitteren Ende eingehalten werden. Die Wahlrechtsgleichheit erfordert das.

Gegen diese Regel hat die AfD in qualifiziert rechtswidriger Weise verstoßen.

Zu 3: und der Behauptung, es gäbe ja keine konkrete Benachteiligung von potenziellen Listenbewerbern, wie es in den Wahleinsprüchen zu lesen ist.

Die Einspruchsführerin, also die AfD, hat scheinbar von ihren juristischen Rechtsbeiständen eine falsche Rechtsauskunft bekommen.

Herr Stefan Meyer schreibt in seiner Stellungnahme für die Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses sehr zutreffend folgendes: Zitat:

„Entgegen der Auffassung der Einspruchsführer kommt es vorliegend nicht darauf an, zu klären, ob es durch den Wechsel des Wahlverfahrens zu einer konkreten Benachteiligung potentieller Listenbewerber gekommen ist.“

Diesem Satz von Herrn Meyer kann ich mich vollumfänglich anschließen.

Damit es die AfD-Abgeordneten vielleicht doch noch verstehen, kann ich versuchen, es mal mit einem anderen Beispiel für Sie zu erläutern, warum hier von einem abstrakten Verstoß die Rede ist und dieser für eine Rechtsverletzung auch ausreicht.

In der Straßenverkehrsordnung ist geregelt, dass innerorts in der Regel die Höchstgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometer gilt. Wenn sie nach einer Geschwindigkeitskontrolle angehalten werden, weil sie 70 Stundenkilometer gefahren sind, also ein klarer Regelverstoß - so können sie ja auch nicht erklären:

„Weil sich keine Anwohner*innen beschwert haben oder sie niemanden geschädigt haben, liegt auch kein Regelverstoß vor.“ Alles klar?

Lassen sie mich noch kurz etwas zu dem Vorwurf sagen, dass im Landewahlausschuss der Wechsel des Wahlverfahrens keine Rolle gespielt haben soll.

Also, erstens wurde das bei der Beurteilung, ob es sich um ein oder zwei Versammlungen handelte, schon erörtert.

Zweitens war bei der abschließenden Beurteilung der Zulässigkeit der Landesliste der AfD eine rechtliche Bewertung oder Erörterung des Wechsels des Wahlverfahrens schon deswegen hinfällig, weil dieser Wechsel des Wahlverfahrens erst in der 2. Versammlung geschah. Der Landeswahlausschuss hatte aber nur die 1. Versammlung im Februar 2019 als zulässig angesehen. Die 2. Versammlung spielte für die Entscheidung des Landeswahlausschusses keine Rolle mehr.

Meine abschließende Bewertung:

1. Die AfD ist nicht Opfer, sondern Herr Urban, Herr Zwerg, Herr Keiler und einige andere sind die Täter, weil sie nicht in der Lage waren, als Spitzenkräfte der Alternative für Deutschland eine rechtskonforme Aufstellungsversammlung durchführen zu lassen und selbst Chaos angerichtet haben.

2. Hinter der Nichtzulassung durch den Landeswahlausschuss und das von Ihnen selbst erstrittene Urteil des Verfassungsgerichts steckt kein großes Verschwörungskomplott, wie Sie ja gern behaupten, sondern nur Ihre eigene Unfähigkeit und Unvermögen ein gesetzkonformes Nominierungsverfahren vorzubereiten und durchzuführen.

3. Sie wurden ja sogar bessergestellt als bisher alle anderen Einspruchsführer*innen, da das Verfassungsgericht Ihnen ausnahmsweise vorgelagerten Rechtsschutz gewährte, der nach dem Gesetz – ich wiederhole mich - gar nicht vorgesehen ist. Damit wurden sie bessergestellt und nicht benachteiligt.

4. Nach meiner Einschätzung hat vor allem Herr Dr. Keiler einen großen Anteil an dem von ihm angerichteten Chaos – aber das muss die AfD intern klären.  

5. Statt permanent auf die Landeswahlleiterin und deren Büro verbal einzuschlagen, sollten Sie sich lieber einmal bedanken, dass sie permanent Hinweise und Empfehlungen bekommen haben, um ihre mangelhaften Listen noch soweit nachzubessern und in eine Form zu bringen, dass man sie überhaupt annehmen konnte. Anderenfalls würden heute immer noch zwei getrennte Landeslisten und zwei Listenvorschläge Ihrer Partei für die Landtagswahlen angemeldet sein.

6. Wenn man den gesamten Vorgang genauer betrachtet, muss man den Eindruck gewinnen, dass dieser eher ein Fall für den Staatsanwalt ist.

Protokolle von Niederschriften derselben Versammlung, die unterschiedliche Inhalte aufweisen, dazu jeweils die entsprechenden Versicherungen an Eides statt in verschiedenen Ausführungen sowie Protokolle von Aufstellungsversammlungen, die nicht von allen dafür vorgesehenen Funktionsträgern unterzeichnet sind. Sollten eigentlich genügend Anlass für Ermittlungen ergeben.

7. Sie haben eigentlich ein Haufen Leute sinnlos beschäftigt. Landeswahlausschuss, Wahlprüfungs- und auch den Untersuchungsausschuss. Sie nerven einfach, mit ihrem Unvermögen.

Ich habe meiner Fraktion empfohlen dem Entscheidungsvorschlag des Wahlprüfungsausschusses in den uns heute vorliegenden fünf Fällen zuzustimmen und die Wahleinsprüche der AfD zurückzuweisen.

Vielen Dank.