»Zwischenbilanz der Feststellungen und Konsequenzen zum Kunstraub aus dem Grünen Gewölbe in Dresden am 25.11.2019«

Rede von Rico Gebhardt zum Antrag der Fraktion DIE LINKE in Drs 7/11454, während der 63. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags am 16. Dezember 2022

Anrede,

als die Täter vor drei Jahren getürmt und die Zeitungen mit der Einbruchsmeldung voll waren, hat die Staatsregierung nicht mit großen Worten gespart. Der Staatsschatz sei gestohlen und ein – Zitat – „Anschlag auf die kulturelle Identität aller Sachsen“ verübt worden, so der gescheiterte Innenminister Roland Wöller damals. Der Ministerpräsident tönte gar: „Nicht nur die Staatlichen Kunstsammlungen wurden bestohlen, sondern wir Sachsen!“, als habe das Königtum seinen Reichtum allein auf legitime Weise und gemeinsam mit seinen Untertanen angehäuft. Beides war nicht der Fall, aber das ist ein anderes Thema.

Seit diesen Novembertagen 2019 herrscht beim Thema Kunstraub jedoch eine merkwürdige Stille aus den Ministerien, der Staatskanzlei, von der SKD – also den Staatlichen Kunstsammlungen –, aber auch des SIB, des Staatsbetriebs Sächsisches Immobilien- und Baumanagement. Merkwürdig ist diese Stille, weil somit eine beispiellose sächsische Blamage unkommentiert bleibt. Heute wirkt es wie Hohn, was die Verantwortlichen 2006 anlässlich der Eröffnung des „Historischen Grünen Gewölbes“ zu Protokoll gaben. Der damalige Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen, Martin Roth, erklärte: „Die beste Sicherheit ist immer die, die sich nicht sehen lässt“. Außerdem: „Wenn Sie bei uns ins Grüne Gewölbe gehen, scheint das nicht geschützt zu sein.“ Allerdings sei es „gesichert wie Fort Knox“. Grünes Gewölbe-Direktor Dirk Syndram tat es ihm gleich und sagte: „Wir haben eine alte Tradition. Wir haben kaum Verluste durch Diebstahl. Und wir werden diese Tradition fortführen.“

Als dann der „sächsische Louvre“, wie Georg Milbradt das Gewölbe lobpreiste, beraubt war, musste jener Dirk Syndram einräumen: „Wir sind immer davon ausgegangen, dass keiner auf die Idee kommt, so etwas zu stehlen, weil man es nicht verwerten kann.“ Wie sollte man auch auf den seltsamen Gedanken kommen, jemand könne Diamanten und Brillanten stehlen wollen, und das auch noch nachts! Na Mensch!

Genau diese Haltung war das Problem, gepaart mit der Sparwut der CDU-geführten Staatsregierung und ihrer nachgeordneten Behörden, die sich offensichtlich auch auf die Sicherheitsarchitektur des Grünen Gewölbes erstreckte. Nun sind 21 Schmuckstücke verloren, besetzt mit mehr als 4.000 Edelsteinen und einem Versicherungswert von fast 114 Millionen Euro. Der folgenschwerste Kunstdiebstahl der deutschen Nachkriegsgeschichte fand in Sachsen, in der Kunst- und Kulturstadt Dresden statt, wenige Laufminuten von hier entfernt, und begünstigt durch ein kollektives Versagen der Verantwortlichen.

Dieses Versagen ist seitdem auf politischer Ebene totgeschwiegen worden, während die juristische Aufarbeitung in Form des Strafprozesses läuft. Politische Verantwortung hat bisher niemand übernommen, weder im Innenministerium noch im Kulturministerium noch im Finanzministerium oder dem Staatsbetrieb Immobilien- und Baumanagement, und auch nicht bei den Staatlichen Kunstsammlungen. Der schwarze Peter wandert hin und her und es wird gemauert, was das Zeug hält.

Es ist bisher auch noch niemand auf die Idee gekommen, den Landtag umfassend zu informieren. Alles muss man Ihnen aus der Nase ziehen. Mit inzwischen 21 Kleinen Anfragen konnte ich wenigstens einige Erkenntnisse öffentlich machen, doch bis heute ist die Informationslage dürftig. Wir fordern mit unserem Antrag die Staatsregierung auf, endlich die Karten auf den Tisch zu legen und ihr Schweigen zu beenden. Welche rechtlichen, sachlich-technischen, finanziellen, personellen und dienstrechtlichen Konsequenzen zieht sie aus dem Kunstraub? Was unternimmt die Staatsregierung, um die sächsischen Museen besser zu schützen? Unser Eindruck ist, dass die Verantwortlichen durchaus nicht alles unternommen haben, um einen Einbruch zu verhindern.

Wir bezweifeln zudem, dass sie die nötigen Konsequenzen gezogen haben, und wollen der Staatsregierung jetzt die Möglichkeit geben, diesen Eindruck auszuräumen. Das Parlament weiß bis heute nicht genau, wie es zum Sicherheitsversagen kam. Auch zu den Schlussfolgerungen ist dem Landtag lediglich die Tatsache bekannt, dass lange hinter Sichtschutz am Residenzschloss gearbeitet worden ist.

Wir erleben bis heute eine beispiellose Verantwortungsflucht. Dabei ist augenfällig, dass schwerwiegende Versäumnisse den Einbruch mindestens begünstigt haben. Welche Versäumnisse das waren, wissen wir auch dank dem Strafprozess inzwischen viel besser als noch vor einem Jahr. Was aber noch immer unklar ist: Wer war verantwortlich, und vor allem: Wer stellt sich seiner Verantwortung?

Die Liste der Versäumnisse ist lang. Die Täter konnten den Tatort mehrfach ausspionieren und das Fenstergitter bereits vorab durchtrennen und wieder einkleben, ohne dass das jemandem auffiel. Fassadenscanner lösten keinen Alarm aus, weil der entsprechende Sensor am Tattag nicht eingeschaltet war und das Fenster überdies in einem toten Winkel lag. Dieser Umstand war den Verantwortlichen lange bekannt gewesen, sie schlossen die Sicherheitslücke dennoch nicht. Als die Täter im Juwelenzimmer waren, gab es immer noch keinen Alarm und auch kein Alarmlicht. Die Wachleute bekamen nichts mit. Die Überwachungskameras, denen jedes handelsübliche Babyphone technisch überlegen war, lieferten nur verschwommene dunkle Umrisse. Die Wachleute schalteten das Licht auch nicht selbst ein. Der Ernstfall ist, wie wir heute wissen, nie geprobt worden.

Was wir immerhin auf den Kamerabildern sehen konnten, waren 56 Axthiebe gegen die Glasscheiben von drei Vitrinen, die viel zu schnell nachgaben. Nachdem die Täter ihre Beute eingesackt hatten, konnten sie das Residenzschloss unbehelligt verlassen. Die Polizei wurde nicht automatisch alarmiert und verlor so wichtige Minuten. Es gab zudem keinerlei Vorrichtungen, Einbrecher wenigstens auf dem Rückzug aufzuhalten.

DER SPIEGEL hat recherchiert, dass die mangelnde Widerstandsfähigkeit des Vitrinenglases sogar öffentlich nachlesbar war, ich zitiere: „Wer bei Google die Begriffe ,Grünes Gewölbe' und ,Vitrinengläser‘ eingibt, findet schon auf der ersten Seite einen Link zum Hersteller. Der wirbt auf seiner Seite mit dem ,Referenzobjekt Grünes Gewölbe‘ und gibt genaue Auskunft zu dem Glas, das er für die Vitrinen verwendet hat. Wer das liest, weiß, welche Axt er nehmen muss, um die Vitrine zu zerstören.“ Zitat Ende. Die Vitrinen waren 2006 errichtet und seitdem nicht verändert worden. An der Planung waren das Landeskriminalamt, die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, der Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement und das Landesamt für Denkmalpflege beteiligt.

Als ich dazu bei der Staatsregierung nachfragte, war die Antwort sinngemäß: Die Präsentation der Kunstobjekte sollte hohen musealen Ansprüchen genügen, das Vitrinenglas habe dem der historischen Glastüren im Grünen Gewölbe und der gewünschten Präsentationswirkung entsprochen. Mit anderen Worten: Es sollte vor allem schön aussehen, und überdies wurde wohl auch noch Geld gespart. An der falschen Stelle, würde ich sagen. Verantwortung für diese Fehlentscheidung übernimmt wiederum niemand. Man hat aus Kostenerwägungen Sicherheitslücken in Kauf genommen, und das nicht nur beim Vitrinenglas.

Der Technische Geschäftsführer des Staatsbetriebs Sächsisches Immobilien- und Baumanagement, Volker Kylau, hat in der Wochenzeitung ZEIT geäußert: Das Sicherheitskonzept sei „auf der Basis dessen“ erarbeitet worden, „was die Staatlichen Kunstsammlungen bestellt haben“. Und wörtlich: „In dem Fall war das: eine offene, begehbare Vitrine. Das heißt, wir haben quasi einen Sarkophag außen herum gebaut, damit im Inneren alles möglichst zugänglich und offen erlebbar ist.“ Zitat Ende. Dieser Sarkophag war so undurchdringlich wie der alte Sarkophag um die Kraftwerksruine in Tschernobyl: Der hatte Löcher so groß wie Autos. Und die Verantwortlichen wussten es!

Der Prozessbeobachter Butz Peters hat das Sicherheitskonzept in einer Dresdner Tageszeitung mit der Formulierung „organisierte Unverantwortlichkeit“ umschrieben. Dabei hätte spätestens der Diebstahl der „Big Maple Lea­f“[Big-Mähpel-Lief]-Goldmünze 2017 aus dem Berliner Bode-Museum Anlass zur Prüfung sein müssen, ob die getroffenen Maßnahmen ausreichen. Man hätte Jahre Zeit für Verbesserungen gehabt, doch die sind unterblieben.

Das geht auch aufs Konto der Generaldirektorin Marion Ackermann, die zuletzt die Liste der Peinlichkeiten noch verlängert hat. In Antwerpen suchte man einen vermeintlichen Kunstexperten auf, der den Rückkauf eines Beutestücks in Aussicht stellte und dann mit 45.000 Euro in bar davon marschierte, ohne observiert zu werden.

Auch hier frage ich mich wieder: Wer will hier wen eigentlich für dumm verkaufen? Der Versicherungsschaden beträgt 114 Millionen Euro, bei 21 Schmuckstücken, bei 4.000 Edelsteinen. Jeder Edelstein hätte damit im Durchschnitt einen Versicherungsschaden von 38.000 Euro. Was wollten da eigentlich Frau Ackermann und ihr kaufmännischer Direktor mit 45.000 Euro zurückkaufen? Das ist ja lächerlich. Die Schmuckgegenstände aus dem Diebstahl im Grünen Gewölbe können es also nicht gewesen sein. Zumindest nicht bei der Summe, die öffentlich bekannt ist – oder ging es um einen höheren Betrag? Alles in allem eine höchst fragwürdige Aktion.

Sei es wie es sei, diese Aktion reiht sich ein in „Pleiten, Pech und Pannen“ im Zusammenhang mit dem Diebstahl des „Staatsschatzes“ des Freistaates Sachsen. Diese Affäre ist ein trauriges Beispiel dafür, wie die blinde Sparwut und die träge Selbstzufriedenheit der Staatsregierung und ihrer Behörden uns in Sachsen immer wieder Geld und Ansehen kosten. Die politische Akte Juwelenraub bleibt offen, bis jemand für das Versagen geradesteht. Der Ministerpräsident, der sonst um keine Aussage verlegen ist, schweigt weiter. Die Staatsregierung muss endlich Farbe bekennen!

Ich kann ihn trotz des bevorstehenden Weihnachtsfestes kein Friedensangebot machen. Der Umgang mit dem Einbruch in das Grüne Gewölbe ist ein beispielloses Versagen der Staatsregierung, der SKD und des SIB.